Freddy Litten

(Frederick S. Litten)

Theodor Paul ‒ Kurzbiographie

Die folgende Kurzbiographie wurde ursprünglich 1993 für den zweiten Band des "Professorenkatalogs" der Ludwig-Maximilians-Universität München verfaßt und 2000 auf den damals neuesten Stand gebracht. Da jedoch das Erscheinen dieses Bandes immer noch nicht absehbar ist, wird sie hiermit in seitdem unveränderter Form im Internet präsentiert, um vielleicht doch noch von Nutzen zu sein.
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Paul, Theodor, * 13. 2. 1862 Lorenzkirch bei Strehla, † 30. 9. 1928 München, Lorenzkirch. (ev.) ⚭ 16. 5. 1907 Elisabeth Ruppel, * 11. 1. 1884 Radeburg, † 1959.
V Simeon Fürchtegott, Pastor, * 1814, † 1890, M Auguste Sophie Heyme.

Noch bevor P. seine Schulausbildung in Dresden abgeschlossen hatte (die Reifeprüfung an der Drei-Königs-Schule (Realgymnasium) Dresden holte er 1890, den Abschluß am humanistischen Nicolai-Gymnasium 1893 nach), ließ er sich als Apotheker ausbilden, legte 1884 die Apothekergehilfenprüfung ab und war danach einige Jahre im In- und Ausland als solcher tätig. Nach Ableistung des Militärdienstes nahm er 1888 an der Univ. Leipzig das Pharmaziestudium auf und erhielt 1889 die Approbation als Apotheker. Anschließend widmete er sich chemischen Studien und promovierte mit "rite" am 8. 5. 1891 an der Univ. Leipzig zum Dr. phil. mit einer unter der Leitung Ernst Beckmanns angefertigten Arbeit. Am 1. 10. 1891 wurde er etatmäßiger Assistent am Zweiten Chemischen Universitätslaboratorium Leipzig unter der Leitung Wilhelm Ostwalds. Dort habilitierte sich P. und wurde am 27. 4. 1894 zum Priv.-Doz. ernannt, 1895 folgte der Befähigungsnachweis als geprüfter Nahrungsmittelchemiker, 1898 die Approbation als Arzt. 1897 wurde er erster Unterrichtsassistent an dem von Beckmann neugegründeten Laboratorium für angewandte Chemie. Zum 1.10.1898 holte ihn von Pechmann als etatmäßigen a. o. Prof. für analytische und pharmazeutische Chemie an die Univ. Tübingen. Am 18. 5. 1901 promovierte P. wiederum mit "rite" zum Dr. med. an der Univ. Leipzig; zum 1. 4. 1902 wurde er Direktor der Naturwissenschaftlichen Abteilung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes in Berlin, zugleich Mitglied des Reichsgesundheitsrates sowie Kaiserlicher Geheimer Regierungsrat. Am 30. 9. 1905 übernahm er als Nachfolger Albert Hilgers die o. Professur für Pharmazie und angewandte Chemie sowie den Vorstand des Pharmazeutischen Instituts und Universitäts-Laboratoriums für angewandte Chemie der Univ. München, außerdem wurde er Erster Direktor der Kgl. Untersuchungsanstalt für Nahrungs- und Genußmittel. Kurz darauf wurde er a. o. Mitglied des Obermedizinalausschusses (1913 o. Mitglied), im folgenden Jahr Mitglied des Gesundheitsrates der Stadt München. 1912 erhielt er Titel und Rang eines Kgl. Obermedizinalrates, wurde Ehrenmitglied des Deutschen Apotheker-Vereins und, bis 1914, Senator der Univ. München. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges leistete er, zuletzt als Oberleutnant, Dienst im Bayer. Kriegsministerium; 1918 wurde ihm der Verdienstorden vom heiligen Michael 4. Klasse mit der Krone verliehen. Ebenfalls 1918 entstand durch den besonderen Einsatz P.s die Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in München. Nachdem er 1918 a. o. Mitglied der Bayer. Akad. der Wissenschaften geworden war, wählte ihn diese 1921 zum o. Mitglied. In gleichen Jahr wurde er auch von der Sociedad EspaƱola de Fisica y Quimica zum Ehrenmitglied ernannt. 1928 erhielt P. von der Technischen Hochschule Dresden den Dr.-Ing. e.h., zudem war er Ehrenvorsitzender der Münchener Pharmazeutischen Gesellschaft.

P. erste wissenschaftliche Beschäftigung galt an der Univ. Leipzig unter dem Einfluß Ostwalds und Svante Arrhenius' der physikalischen Chemie (chemisches Gleichgewicht bei der Fällung von Säuren und Basen, elektrochemische Studien), deren Instrumentarium er später erfolgreich zur Bearbeitung von Problemen der Lebensmittelchemie und Pharmazie anwendete. In Tübingen begannen P.s Forschungen zur medizinischen Chemie. Hier sind vor allem die Untersuchungen zur Keimfreimachung der Hände und zur Wertbestimmung der Desinfektionsmittel zu nennen. Nach dem Überwechseln an das Kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin traten Fragen der Lebensmittelchemie hinzu. Wiederum liegt die besondere Bedeutung P.s in der Anwendung physikalisch-chemischer Methoden, z. B. auf die "Säure-Frage" der Lebensmittel und die physiologische Wertbestimmung der Süßstoffe. Auch ist wesentlich auf P. die Verwendung von Ionen- statt Salztabellen bei der Darstellung der Mineralwasseranalysen im "Deutschen Bäderbuch" von 1907 zurückzuführen. Im Bereich der Pharmazie ist P.s Mitarbeit an der vierten, fünften und sechsten Ausgabe des "Deutschen Arzneibuches" hervorragend zu erwähnen, zudem beschäftigte er sich mit der Untersuchung und Normung von Arzneimitteln. P.s Aufmerksamkeit galt ebenfalls praktischen Problemen des Apothekerstandes. Neben der Forschung und der Mitarbeit in zahlreichen Ausschüssen und Institutionen lag P. die Lehre sehr am Herzen. Unter seinen Schülern und Assistenten seien Richard Dietzel, Franz Fischler, Wilhelm Prandtl, Kurt Täufel und Carl Wagner erwähnt.

Q UAM, E-II-648 Theodor Paul, OC-N 14 Theodor Paul; BayHStAM, MK 44112; Archiv der Bayer. Akad. der Wissenschaften, T. P.

W Beiträge zum Verhalten von Ketonen und Aldehyden gegenüber metallischem Natrium bei Gegenwart indifferenter Lösungsmittel, (phil.) Diss. Univ. Leipzig 1891 (gedruckt: Gießen 1891); Untersuchungen über fraktionierte Fällung, Habil. Univ. Leipzig 1894 (gedruckt in: Zs. für physikalische Chemie 14 (1894), 105-123); Entwurf zur einheitlichen Werthbestimmung chemischer Desinfektionsmittel, (med.) Diss. Univ. Leipzig 1901 (gedruckt in: Zs. für angewandte Chemie 14 (1901), 333-344, 357-368); zahlreiche weitere wissenschaftliche und populäre Veröffentlichungen.

L DBA N. F.; Poggendorff, Bd. IV, V, VI (W); A. Heiduschka, T. P. †, Chemiker-Zeitung 52 (1928), 841; K. Täufel, T. P. zum Gedächtnis, Zs. für angewandte Chemie 47 (1928), 1253-1254 (P); F. Fischler, T. P. †, Münchener medizinische Wochenschrift 75 (1928), 1889-1890; R. Dietzel, T. P., Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 62 (1929), 7-11 (P); B. Bleyer, T. P. zum Gedächtnis, Zs. für Elektrochemie und angewandte physikalische Chemie 35 (1929), 61-62; K. Täufel, T. P. zum Gedächtnis, Zs. für Untersuchung der Lebensmittel 57 (1929), 265-268 (P); T. P., Jahrbuch der Ludwig-Maximilians-Univ. München 1928/29, München 1929, 9-11; O. Hönigschmid, T. P., Jahrbuch der Bayer. Akad. der Wissenschaften 1928/29, München 1929, 82-84; R. Pummerer, T. P. und die Entwicklung der Lebensmittelchemie, in: Geist und Gestalt, Bd. 2, München 1959, 217-218; G. Kallinich, Das Vermächtnis Georg Ludwig Claudius Rousseaus an die Pharmazie, München 1960, 250-259 (P), 440-442 (W); A. Rhein, Zur Bedeutung der Pharmazeuten Albert Hilger und T. P. als Lebensmittelchemiker, Diss. Univ. Marburg 1988; T. P. und Wilhelm Ostwald in ihren Briefen, hg. von K. Hansel u.a., Großbothen 1998; M. Engel, T. P., NDB 20 (2001).

© Freddy Litten
13.7.2023